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Wenn nichts mehr geht, geht Meer!

Erfahre warum uns das Meer so fasziniert und gehe dem Mysterium der Natur auf den Grund.

 

„Mein lieber Wormwood,

wie du selbst bekennst, ließest Du zu, dass der Patient ein Buch las, das ihn wirklich interessierte, und das nicht, um seinen Freunden geistreiche Bemerkungen darüber zu machen, sondern nur darum, weil das Lesen ihm Freude bereitete. Zweitens erlaubtest Du ihm den Spaziergang zur alten Mühle, ließest ihn dort seinen Tee nehmen und ließest zu, dass er diesen Spaziergang durch eine Landschaft, die er liebt, ohne jegliche Begleitung machte. Mit anderen Worten, Du hast ihm zwei wirkliche, vollkommene Freuden zugestanden. Warst Du tatsächlich so einfältig, die Gefahr darin nicht zu sehen?

Wie war es Dir nur möglich, zu übersehen, dass eine wirkliche Freude das letzte ist, was er hätte erleben dürfen? Konntest Du nicht voraussehen, dass sie durch den Gegensatz den ganzen Schwindel, den zu schätzen Du ihm mit so viel Mühe beigebracht hast, erledigen würde? Und dass die Art von Vergnügen, wie sie ihm das Buch und der Spaziergang bereiteten, die gefährlichste war von allen?

Dass sie die ganze Kruste, die Du um sein Empfindungsvermögen gelegt hast, auflösen würde, so dass er sich fühlen musste wie einer, der nach Hause kommt und sich selbst wiederfindet? Um ihn vom Feinde zu lösen, musstest Du ihn vor allem von sich selbst lösen, und darin hattest Du auch gute Fortschritte gemacht. Jetzt aber ist alles umsonst.“ – Screwtape, in: „Dienstanweisungen an einen Unterteufel“ von C.S. Lewis

In seiner nicht imitierbaren Art und Weise, beschreibt uns C.S. Lewis, welche Auswirkungen der Genuss von vollkommenen Freuden auf das Werk unseres Feindes hat. Einer dieser Freuden ist der Genuss der Natur, hier in Form eines Streifzugs ohne Begleitung durch die Schöpfung.

Als Gott Adam schuf, setzte er ihn in den Garten Eden zu einem bestimmten Zweck:

„Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ (1. Mose 2,15)

Im Zusammenhang mit der Natur lautet also Gottes Auftrag an uns die Schöpfung zu nutzen und zu bewahren. Diese Nutzung ist kein Freibrief, sondern beinhaltet den Respekt vor und Fürsorge für die Schöpfung (bebauen, bewahren, gestalten und erhalten). Jemand hat einmal spitzfindig festgestellt:

„Gottes Geschichte mit den Menschen beginnt in einem Garten und endet in einer Stadt.“

Dies beinhaltet den Gedanken der Kultivierung, des Wachstums und der positiven Veränderung. Um diese Aktivitäten erfolgreich umzusetzen, müssen wir uns mit der Natur selbst intensiv beschäftigen, um diese nicht nur für unser physisches, sondern auch seelisches Wohl zu nutzen.

Neben dem göttlichen Schöpfungsauftrag finden wir in der Natur auch ein Mysterium, das sich in ihrer bezaubernden Schönheit manifestiert und an unserer Faszination zeigt. Diese Schönheit und die Erforschung derselben in der Natur sollte von uns Männern nicht ignoriert werden. Warum? So wie in einem Kunstwerk der Künstler erkannt wird, so wird die unsichtbare Wirklichkeit Gottes in der Natur erkannt.

Dietrich Bonhoeffer legt mit seiner präzisen Feststellung das Hauptziel dieses Artikels fest:

„Klug ist, wer die Wirklichkeit sieht, wie sie ist, wer auf den Grund der Dinge sieht. Klug ist darum allein, wer die Wirklichkeit in Gott sieht. Erkenntnis der Wirklichkeit ist nicht dasselbe wie Kenntnis der äußeren Vorgänge, sondern das Erschauen des Wesens der Dinge. Nicht der Bestinformierte ist der Klügste. Gerade er steht in Gefahr über dem Vielerlei das Wesentliche zu verkennen.“ 

„Je tiefer man die Schöpfung erkennt, umso größere Wunder entdeckt man in ihr.“ – Psalmenlesung (1513-16) von M. Luther

In diesem Sinne wollen wir gemeinsam dem Wesen des Meeres auf den Grund gehen und daran das Mysterium der Natur näher betrachten. Der Artikel basiert hauptsächlich auf einer modifizierten Übersetzung der genialen Vorlesung „The Sea and Spirituality“ des Philosophen und Theologen Peter Kreeft.

Jeder von uns ist unterschiedlich gestrickt und so gibt es einige Leser, die dem Meer (noch!) nicht so viel abgewinnen können. Falls du dazugehören solltest, bitte ich dich die folgenden Anregungen zu beachten:

  1. Versuche die Überlegungen, Beobachtungen und Erkenntnisse auf den Teil der Natur zu übertragen, der dich selber fasziniert.
  2. Entdecke mit Offenheit die Geheimnisse, die Gott in das Wesen der See gelegt hat. Dieser Artikel könnte dazu beitragen, dass du den Ozean aus einer bisher unbekannten Perspektive betrachten wirst.

1) Intro

Lasst uns mit einer persönlichen Frage starten: Welche Bedeutung hat das Meer für dich?

Für mich ist das Meer ein magisches Naturphänomen. Allein der Anblick lässt etwas tief in meiner Seele erwachen und macht mich lebendiger. Peter Kreeft merkt treffenderweise an:

„Das Meer gibt uns die Energie und die Fröhlichkeit eines Vierjährigen.“

Doch woher kommt diese Faszination des Meeres? Die Natur ist voller Magie: Aus interstellarer Materie formen sich Sterne, aus einem Samen wächst ein Baum. Der Zauber dieser Vorgänge entwickelt sich über einen langen Zeithorizont hinweg, doch die Magie des Meeres ist augenblicklich. Unsere Sinne verschärfen sich am Meer: wir nehmen Gerüche verstärkt wahr, wie etwa die salzige Seeluft oder wir nehmen alle Farben wahr, wie das schöne Blau der weiten See. Die See macht das, was einen guten Partner auszeichnet: Sie gibt uns mehr Energie alles zu lieben – so wie Gott. Kreeft hält den Befund folgendermaßen fest:

„Das Ebenbild Gottes fühlt eine Leidenschaft für das kalte Salzwasser. Warum verlieben sich unsterbliche Seelen in Trillionen Tonnen H2O mit 3,5 % Meeressalzen?“

Im Folgenden wollen wir einige der Gründe die Peter Kreeft in seiner Vorlesung nennt, näher unter die Lupe nehmen, um einer Antwort auf dieses Rätsel näher zu kommen.

Der US-amerikanische Dichter, Journalist und Historiker Carl Sandburg (1878-1967) war auch vom Meer fasziniert. Er schreibt über einige Matrosen, wie „das Meer mehr über sie weiß, als sie selbst. Sie wissen nur, wie die See umarmen kann und sie niemals loslässt“ („The Sea Hold“). Die Rollen vertauschen sich: Wir das Objekt – das Meer das Subjekt. Wir fahren mit unseren Schiffen auf dem Meer aber das Meer bewegt mit seinen Wellen etwas in unserer Seele. Warum hat die See solch eine Kraft? Welche Arme benutzt sie, wenn sie uns umarmt?

2) Fragen über das Mysterium der Natur

Das Meer ist nur ein Beispiel für das große Mysterium der Natur. Einige Fragen, die es uns abringt sind:

  • Warum fasziniert uns die Natur?
  • Warum fühlt sich die Natur so unerschöpflich für unsere Seele an?
  • Unser Geist ist unsterblich, die Natur ist sterblich. Warum erweckt die Natur in uns eine innere Freude, wie es keine andere Kunst zu schaffen vermag?
  • Warum ist ein Wald voller Bäume schöner als ein Wald aus Telegraphenmasten? Warum lieben wir oft das Rohmaterial mehr als die Dinge, die wir daraus erschaffen?
  • Welche Glückseligkeit fließt durch die Bäume und schäumende Wellen?

Dieses Mysterium und all seine Fragen sind mit Gott dem Schöpfer verbunden. Uns macht die Natur fröhlicher als die Zivilisation, weil Gott erstere erschaffen hat. Wenn wir jemals eine Antwort auf all diese Fragen haben wollen, dann werden wir sie vor allem bei der Beschäftigung mit der Faszination rund um das Meer finden, da wir hier auf etwas Magisches stoßen.

3) Das dritte Seemannsauge

Um der Lösung auf die Schliche zu kommen, erinnert uns Kreeft an eine längst vergessene Methode. Diese antike Methode wurde damals die Kunst des „genauen Lesens“ genannt. Kreeft nennt dies die Kunst des dritten Seemannsauges. Die Natur ist nicht ein bloßes Objekt. Es ist vielmehr ein Hinweisschild und deshalb sollte man es nicht bloß anstarren, sondern vielmehr in die Richtung blicken, auf die das Hinweisschild Meer zeigt.

Wir haben vergessen, dass wir drei Augen besitzen:

  • Äußeres Auge (Sinnesorgan)
  • Auge des Verstands (Ratio)
  • Auge des Herzens

Das Auge des Herzens ist das Auge der Liebe. Dieses muss uns von Jesus dem Sehendmacher geöffnet werden. So bittet Paulus in Epheser 1,18:

Und Er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, […]

Wenn wir mit diesem Auge auf das Meer sehen, so bemerken wir, dass es sich um eine Jakobsleiter handelt, die Himmel und Erde verbindet, ein heiliges Zeichen, dass auf Gott hindeutet. Ein Appetizer dieser Welt, der auf den Hauptgang im Himmel hinweist. Die See ist eine Predigt, jede Welle ein Wort und das Gesamte eine Symphonie. Kein Surfer hat je gesagt: „Jetzt habe ich genug Wellen für mein Leben gehabt“, genauso wenig, wie auch kein Apostel je sagte: „Jetzt habe ich genug von Gott gehabt.

4) Das Hinweisschild Meer

Eine Idee, die dem dritten Seemannsauge entspringt ist, dass sich der Schöpfer in der Schöpfung offenbart. So wie ein Design auf den Designer oder wie ein Kunstwerk auf den Künstler hinweist. Paulus und der König David drückten es so aus:

„Seit Erschaffung der Welt wird nämlich seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit.“ (Römer 1,20)

„Der Himmel verkündet Gottes Hoheit und Macht, das Firmament bezeugt seine großen Schöpfungstaten.“ (Psalm 19,2)

Die Anwendung dieses Prinzips auf das Wasser ist uns eher unbekannt. Wir finden nur sehr wenige christliche Autoren, die sich mit diesem Gedanken beschäftigen. Einer von ihnen ist der schottische Schriftsteller, Dichter und Pfarrer George MacDonald (1824-1905):

„Ich glaube, dass jeder Fakt in der Natur eine Offenbarung Gottes ist und dass es diesen gibt, weil Gott so ist, wie er ist. Ich vermute, dass alle Fakten der Natur uns beeindrucken, damit wir unbewusst etwas über Gott lernen. Das Wasser tanzt, singt und löscht den wunderbaren Durst. Diese liebevolle Sache selbst, dessen Nässe bei der Umarmung eine Freude für jeden Zentimeter des menschlichen Körpers ist; diese lebendige Sache, wenn ich könnte, würde es durch mein ganzes Zimmer fließen; dieses Wasser ist sich selbst eine Wahrheit und ist darin eine Wahrheit Gottes. Lass denjenigen, der von der Liebe des Schöpfers wüsste, sehr durstig werden, sodass er von dem Bach am Wegesrand trinken würde. Und lass sein Herz in diesem Moment sich aufrichten nicht zum Schöpfer von Sauer- und Wasserstoff, sondern zum Erfinder und Vermittler des Durstes und Wassers. Dann würde dieser Mann ein wenig davon erahnen, was seine Seele in Gott finden könnte.“ (George MacDonald, Unspoken Sermons, S. 315)

Ein Mann wie George MacDonald kennt das Wasser, weil er das Wasser liebt. Lieben wir nicht alle die hohe See? Kannst du dich erinnern, wie du als Kind zum ersten Mal begeistert mit deinen Füßen in das Meer tratst und das gleichmäßige Rauschen der Brandung wahrnahmst? Für Peter Kreeft war das Rauschen der Wellen die Musik der See, vielmehr noch: die Musik der Engel. Auch J. R. R. Tolkien greift diese Idee auf, dass unsere Unzufriedenheit etwas mit der Engelsmusik des Meeres zu tun hat, die wir nicht mehr wahrnehmen. In seinem Schöpfungsgedicht das Silmarillon – der kosmologischen und mythologischen Vorgeschichte von „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ – finden wir die folgenden Zeilen:

„Und die Eldar sagen, mehr als in jedem anderen Stoff aus dieser Erde sei im Wasser das Echo von der Musik der Ainur lebendig; und viele der Kinder Ilúvatars lauschen noch immer unersättlich den Stimmen des Meeres und wissen doch nicht, auf was sie lauschen.““ (J. R. R. Tokien – Das Silmarillion, S. 59)

Auf was Lauschen wir, wenn wir an der Küste auf das Rauschen des Meeres hören? Auf wessen Musik hört unser inneres Ohr des Herzens?

Lasst uns das Hinweisschild des Ozeans betrachten, da etwas so gigantisches auch eine große Bedeutung haben muss, dass mehr als eine bloße Ansammlung von Trillionen Tonnen Salzwasser ist. Kreeft vergleicht dies mit der Mona Lisa. Wenn sie nicht mehr als ein paar Millionen Farbmoleküle auf einer Leinwand ist, dann bedeutet sie nichts. Das Meer gleicht der Mona Lisa auf 3 Arten:

  1. Es ist ein großes Kunstwerk
  2. Es hat ein Gesicht mit einer Persönlichkeit
  3. Es ist mysteriös

Welches Geheimnis verbirgt sich hinter dem Lächeln des Meeres? Um diese Schatztruhe öffnen zu können, präsentiert uns Peter Kreeft vier Schlüssel.

5.1) ERSTER Schlüssel: Die See ist eine Frau

In den meisten Sprachen ist die See eine Frau und wird durch ein feminines Nomen ausgedrückt. Der Wind streicht über die See, wie ein Liebhaber über das Haar seiner Geliebten streicht. So schwebte auch der Geist Gottes bei der Schöpfung über dem Wasser (vgl. 1. Mose 1). Man kann die See als eine Mutter und den Mond als ihre Tochter betrachten. Diese beiden bestimmen das Tempo der Lebensmusik, die im Körper einer jeden Frau gespielt wird, denn der weibliche Zyklus hat einige Parallelen mit den Mondphasen und den Gezeiten.

Der Dichter Algernon Charles Swinburne preist diese weibliche Seite des Meeres in seinem Gedicht „The Triumph of Time“:

Ich gehe zurück zu der großen lieben Mutter,

Mutter und Liebhaberin des Mannes, die See.

Geboren ohne Schwester, geboren ohne Bruder,

Befreie meine Seele, so wie auch deine Seele frei ist.“

Ein Hinweis ob Männer Frauen lieben oder fürchten, könnte die Frage danach liefern, warum die See eine Frau ist. Manche würden boshaft sagen, weil sie hinterlistig ist. Andere wiederum würden sagen, weil die See schön und mysteriös ist.

5.2) Zweiter Schlüssel: Die See ist ein Jungbrunnen und Spielzeug

Die See ist eine Zeitmaschine, die unsere Uhren zurückdreht, sobald wir in sie einsteigen. Wir reden wie die Kinder, wenn wir über sie nachdenken und rufen nach einer langen Autofahrt: das Meer, das Meer, das blaue, frische, makellose, immer freie Meer!

Könnt ihr euch erinnern, als ihr mit euren Augen das erste Mal das Blau des Meeres erblicktet und das Rauschen der Wellen mit euren Ohren wahrnahmt? Noch nie haben wir so etwas Großes wie den Ozean gesehen. Wenn wir an der Küste sind, wissen wir, wer wir wirklich sind: Kinder, die mit Sandburgen spielen. Sir Isaac Newton sagte kurz vor seinem Tod:

„Ich weiß nicht, wie die Welt über mich denkt; mir selbst aber kam ich vor wie ein kleiner Junge, der glücklich am Meeresstrand spielt und hin und wieder einen glatteren Kieselstein oder eine hübschere Muschel fand als die anderen – während der große Ozean der Wahrheit unentdeckt vor mir lag.“ (Michael Brooks, Die großen Fragen: Physik, S. 9)

Die Beschreibung Newtons ist ein passendes Bild, um die Position des Menschen in unserem Universum zusammenzufassen. Kleine Kinder, die mit den Wellen des Lebens, Wellen der Vorherbestimmung und der Fürsorge, mit Wellen göttlicher Dinge spielen. Dinge die für Gott stehen: innere Wahrheit, innere Schönheit und innere Güte. Junge Kinder wissen, was der Strand ist: ein großer Sandkasten voll mit Spielzeugen.

Ich habe im letzten Urlaub in Marokko bewusst den Kindern beim Spielen in der Meeresbrandung zugesehen: sie spielen wie verrückt in den Wellen. Es scheint so, als spielten sie an der Schürze ihrer großen Mutter. Kreeft kommt zum Schluss, dass Kinder oftmals weiser seien als Erwachsene, denn sie kennen einen wichtigen Grund, warum das Universum existiert. Es ist ein großes Spielzeug, das zu unserer Freude erschaffen wurde. Es ist der Grund warum jeder große Künstler erschafft. Es ist ein Abbild Gottes. Peter Kreeft fasst den zweiten Schlüssel schön zusammen:

„Gott ist kein Ingenieur oder ein Anwalt. Öffnet eure Augen: Er ist ein Künstler. Wenn wir erwachsen werden, verlieren wir diese Erkenntnis, dass das Universum ein Spielzeug Gottes ist, mit dem wir spielen sollen. Wir verlieren das Gefühl klein und fröhlich zu sein. Stattdessen werden wir groß und besorgt. Die Meeresbrandung kann uns in zwei Sekunden wieder zu Kindern werden lassen, wenn wir es nur zulassen.“

Stellt euch mal vor, welche Veränderungen eintreten würden, wenn jeder Mensch auf dieser Erde ein Tag pro Woche in der Meeresbrandung spielen würde? Welches Maß an Depressionen, Gewalt, Hass, Neid, Groll, Langeweile, Süchten und Tyrannei könnte dadurch wohl reduziert werden?

Die See ist ein Jungbrunnen für die Seele und das genialste Spielzeug:

  • Unzerbrechlich und kann nicht verloren gehen
  • Lebendig und steht immer zur Verfügung
  • Kann mit vielen Menschen geteilt und gemeinsam genossen werden
  • Nutzt sich nicht ab und wird nicht müde
  • Tanzt, ringt und schlägt mit uns um sich und wirft uns hin und her
  • Hat das richtige Maß an Gefährlichkeit, um aufregend zu sein
  • Wir müssen es nicht in die Kiste aufräumen, nachdem wir damit gespielt haben.
5.3) Dritter Schlüssel: Glückliche Dynamik und Heilmittel

Unvorhersehbarkeit

Die Linien des Meeres sind nicht geometrisch und die exakte Form einer Welle ist nicht vorhersehbar. Warum macht uns das froh? Kreeft meint: weil wir es eben nicht verstehen. Zwar wissen wir, dass alles einen Grund hat, aber längst kennen wir nicht alle Gründe. Nur Gott ist allwissend. In diesem Zusammenhang hat die Natur die gleiche Funktion für uns, wie Sokrates damals für die Griechen. Die Natur lehrt uns unsere Unwissenheit, gemäß dem sokratischen Paradoxon: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Es zeigt uns, dass wir nicht Gott sind und erinnert uns somit an unsere menschliche Natur und die Tugend der Demut. Gemäß Kreeft ist die See ein Gegenmittel für das Gift des Technologiewahns:

„Wir sind nicht Papa oder Mama, sondern wir sind Kinder. Wenn Kinder genauso viel im Haus verstehen würden wie Papa oder Mama, dann wären sie keine Kinder und wären auch nicht so glücklich. Kinder sind fröhlich, weil sie wissen, dass jemand anderes die Kontrolle hat. Vielleicht ist das der Grund, warum uns die Technologie nicht mit tiefem Glück erfüllt. Um damit erfolgreich zu sein, müssen wir unseren Fokus auf sie verengen und das verengt unser Glück. Wenn wir die Natur zähmen, dann erblinden wir für eine Sache, die wir der Natur nicht nehmen wollen und diese Sache erfüllt uns mit tiefer Freude. Wir sind viel glücklicher im Angesicht der ungezähmten Natur – in der Gegenwart des Meeres oder des Waldes, als wir es sind, wenn wir vor einem Salzwasseraquarium oder einem gemähten Rasen stehen. Maschinen sind eine gute Sache und für uns sind sie natürlich. Aber dadurch, dass wir immer mehr zu Werkzeugen werden, wird aus einem guten Diener auf einmal ein böser Herr. Ich glaube wir tun dies, indem wir den Maschinen zwei kostbare Dinge geben, für die wir sie eigentlich erfunden haben: Zeit und Macht. Jeder weiß aber, dass es genau umgekehrt läuft: Wir haben immer weniger Zeit, je mehr zeitsparende Technologien wir uns anschaffen und im Vergleich zu unseren Vorfahren fühlen wir uns machtloser und gestresster. So haben Diener uns zu ihren Dienern verwandelt.“

Der Ozean ist alles andere als technologisch. Der englische Dichter, Romantiker und Schwimmer Lord Byron (1788-1824) dichtete:

„Wüte weiter, Du tiefer, dunkelblauer Ozean – Wüte!

Zehntausende Flotten fegen über dich ohne Hoffnung.

Zwar überzieht der Mensch die Erde mit Ruinen –

am Strand aber hört die Kontrolle auf.

Gewaltiger Spiegel, in dessen Glas der Allmächtige

Sich selbst im Sturme beschaut; in allem, Er, für immer –

Glatt oder brandend, Brise, Orkan, gleichviel,

Am eisigen Pol, unter sengender Sonne

Dunkel-gewölbt – grenzenlos, ewig, sublim:

Bildnis des Dauernden, Thron Des unsichtbaren Gottes.“ (Lord Byron, Child Harold’s Pilgrimage)

Medizin der Stille

Die See gibt uns Zeit, wenn wir ihr unsere Zeit geben. Wir haben in diesen Momenten am Meer gefühlt mehr Zeit, denn es verhält sich wie mit den Broten und Fischen, die der kleine Junge Jesus gab: sie wurden vermehrt. Es klingt paradox, aber wir erhalten mehr Lebenskraft, wenn wir unsere Obsession mit der Kraft hinter uns lassen und ins Meer eintauchen. Seit Jahrtausenden ist der Ozean als Heilmittel für Körper, Seele und Geist bekannt und die unzähligen Reha-Zentren und Therapien am Meer sind nur ein Beispiel hierfür.

Als ich still auf den Felsen saß und meinen Blick von der Meeresbrandung in die Weite des Ozeanhorizonts schweifen ließ, nahm ich die See, als Sprachrohr Gottes war, dass mir Gottes Verantwortung und Aufsicht zusichert. Das Sprachrohr sagte mir, dass es eine beständige Schönheit gibt, die außerhalb unseres menschlichen Kontrollbereichs und unserer Selbstbezogenheit liegt. Wir können all die Felsen abhauen und daraus Marmorbüsten kreieren aber der Ozean bleibt. Generationen und Zivilisationen haben sich erhoben und sind untergegangen aber der Ozean existiert bis auf den heutigen Tag.

Die See ist das große Gegengift gegen das, was der russische Schriftsteller Alexander I. Solschenizyn bei seiner Harvard Rede 1978 dem 20. Jahrhundert als unsere Krankheit attestierte:

„Eile und Oberflächlichkeit sind die psychische Krankheit des 20. Jahrhunderts, und mehr als irgendwo sonst widerspiegelt sich diese Krankheit in der Presse.“

Das postmoderne Leben erscheint oft trivial und flach, während die See ernst und tief ist. Wir produzieren immer mehr Lärm und Verschmutzung – sie gibt uns Stille. Auch der dänische Philosoph und Theologe Søren Kierkegaard (1813-1855) hält uns an, auf die Stille zu hören. Er schrieb:

„Wenn ich Arzt wäre und mich einer fragte: ‚Was meinst du, muss getan werden?’, so würde ich antworten: „Das erste, was getan werden muss, und die unbedingte Voraussetzung dazu, dass überhaupt etwas getan werden kann, ist: „Schaffe Schweigen! Gebiete Schweigen! Gottes Wort kann ja nicht gehört werden, und wenn es mit Hilfe lärmender Mittel geräuschvoll hinausgerufen wird, damit man es auch im Getöse hören kann, so bleibt es nicht Gottes Wort. Schaffe Schweigen!“ (Søren Kierkegaard, Zur Selbstprüfung der Gegenwart empfohlen, 1851)

Medizin des Zuhörens

Das Meer hilft uns, die für uns so dringend notwendige Stille zu schaffen. Kreeft beschreibt einen vierstufigen Heilungsprozess:

  1. Zuerst lehrt mich die See ihr zuzuhören
  2. Dadurch lerne ich das Zuhören
  3. Da ich das Zuhören lerne, lerne ich damit auch Gott zuzuhören
  4. Indem ich lerne Gott zuzuhören, lerne ich auch den Menschen um mich herum zuzuhören

Bonhoeffer hat schon damals auf den essentiellen Wert des Zuhörens hingewiesen:

„Viele Menschen suchen ein Ohr, das ihnen zuhört, und sie finden es unter den Christen nicht, weil diese auch dort reden, wo sie hören sollten. Wer aber seinem Bruder nicht mehr zuhören kann, der wird auch bald Gott nicht mehr zuhören, sondern er wird auch vor Gott immer nur reden. Hier fängt der Tod des geistlichen Lebens an, und zuletzt bleibt nur das geistliche Geschwätz. Wer nicht lange und geduldig zuhören kann, der wird am andern immer vorbeireden und es selbst schließlich gar nicht mehr merken. Wer meint, seine Zeit sei zu kostbar, als dass er sie mit Zuhören verbringen dürfte, der wird nie wirklich Zeit haben für Gott und den Bruder, sondern nur immer für sich selbst, für seine eigenen Worte und Pläne.“ (Bonhoeffer Brevier)

Wir lernen den Tiefen der Herzen der Anderen zuzuhören und auf ihre Tiefen der Seele aufmerksam zu werden. Bevor wir nicht innerlich stille werden, können wir nicht darauf hören. Dasselbe trifft auch auf Gottes Stimme zu, die gleichzeitig größer als das Universum und sanfter als ein Flüstern sein kann. An dieser Stelle erinnern sich so einige an Elias Begegnung mit Gott. Als er in der Wüste in einer Höhle saß, wollte Gott an ihm vorübergehen. Doch Gott war weder im Sturm, noch im Erdbeben oder dem Feuer. Erst als Elia ein stilles und sanftes Sausen vernahm, verhüllte er sein Angesicht vor der Stimme Gottes (vgl. 1. Könige 19,9-13). Die Stimme war furchteinflößend, denn es war die Stimme der Wahrheit. Wir haben unsere Welt mit lauter unnützem Lärm gefüllt, der uns nicht glücklich macht, um auf die Stimme unseres Schöpfers nicht hören zu müssen.

Warum zog es keltische Mönche im Mittelalter von den saftigen, grünen und ländlichen Gegenden Irlands an harsche, wilde und von Wellen gepeitschte Felsen an der Küste des Atlantiks? Hier erwachte ihre Seele und sie spürten das vertikale Leben und die Verbundenheit mit der Stimme Gottes. Bis heute können wir an der felsigen Küste Irlands diese Klosterruinen besichtigen.

Medizin für Abenteuerlust und Frieden

Die See ist gleichzeitig schön und gut aber auch gefährlich. Peter Kreeft sieht hier den Zusammenhang zu unserer menschlichen Suche nach einer Sache, die diese Attribute erfüllt. Er stellt fest:

„Nicht heilig, unheroisch, unpoetisch, leidenschaftslos, schlaff, kleinlich und zügellos. Wie kann sich eine solche Seele als den Mittelpunkt des Dramas der Evolution sehen? Von der Amöbe zur Schnecke, zur Schlange, vom Affen zum Menschen und wieder zurück zu einer Seele eines Affen, Schlange, Schnecke und Amöbe im Körper des Menschen. Ich denke, das ist der tiefste Grund für den Alkoholismus, der Drogenabhängigkeit und Sexsucht unserer Zeit. Tief in unserer Seele wissen wir, dass wir etwas brauchen, das gut aber wild ist, etwas das gefährlich ist und uns lebendig macht. Diese zerstörerischen Süchte sind alle nur Ersatz für Gott. Aber die See ist ein Symbol Gottes. Es ist der letzte ungezähmte Platz auf dieser Erde, der mit heiliger Wildheit rauscht.“

Die wilden Stürme der See sind gleichzeitig bezaubernd aber auch zerstörerisch. Warum finden wir sie bezaubernd? Weil dies ein Abbild unseres eigenen Seelenlebens ist. Auch wir haben oft einen Sturm in der Seele und tragen Wellen in unserem Herzen mit uns herum. Wir spüren, dass uns etwas mit dem Meer verbindet – die gleiche kosmologische Ordnung. Hierzu schreibt Carl Sandburg in seinem Gedicht „Young Sea“:

„Das Meer ist niemals still.

Es schlägt gegen die Küste,

rastlos, wie ein junges Herz,

jagend.

Das Meer spricht

und nur die stürmischen Herzen

wissen, was es sagt:

Es ist das Gesicht

einer rauen sprechenden Mutter.

Lass nur die Jungen kommen,

spricht das Meer.

Lass sie mein Gesicht küssen

und mich anhören.

Ich bin das letzte Wort

und ich erzähle

woher Stürme und Sterne kommen.“

Paradoxerweise kann das Meer unsere innere Leidenschaft erwecken und gleichzeitig einen inneren Frieden in uns bewirken. Ist dies nicht genauso bei Gott, wo das Wilde gleichzeitig das Ruhige sein kann?

5.4) Vierter Schlüssel: der Spiegel Gottes

Wir können im Wunder der Natur Gott entdecken. Was können wir über Gott im Spiegel des Meeres erkennen?

  • Das Meer wirkt auf uns fast unendlich – genauso wie Gott unendlich ist.
  • Das Meer ist das Ziel und der Sinn alles Wassers in den Flüssen unserer Erde. Genauso ist Gott das Ziel der fließenden Ströme in unserem Herzen.
  • Die See ist lebendig. Ihre Wellen sind Hände, die nach dir greifen – genauso wie Gott lebendig ist.
  • Wie Gott ist die See immer dieselbe und dennoch immer neu. Ewig und dennoch dynamisch. Die See verändert sich nicht, dennoch ist sie lebendig.
  • Wie Gott ist die See weit, tief, mysteriös, formlos und dennoch voller Persönlichkeit. Unendlich und dennoch mit einem Gesicht, das gleichzeitig wundervoll und furchteinflößend ist.
  • Sie ist wild – genauso wie Gott wild ist. In Hosea 11,10 wird über Gott gesagt: „Hinter dem HERRN werden sie herziehen; wie ein Löwe wird er brüllen, ja, er wird brüllen, und zitternd werden die Söhne herbeikommen vom Meer.
  • Das Meer ist genauso wie Gott absolut. Das Land ist relativ zum Meer und nicht umgekehrt. Der Ozean ist keine kleine Pfütze, sondern das Festland ist eine kleine Insel auf unserem Planeten.
  • Das Meer ist wie Gott zurückhaltend. Es lässt dich an der Küste dasitzen und es beobachten oder es ignorieren. Manchmal ruft es dir durch seine Stürme zu: „Hier bin ich.
  • Das Meer spiegelt die Schöpfungsgeschichte und Gottes Leidenschaft wider.

Peter Kreeft kommt zur folgender Feststellung:

„Moses benutzt in Genesis das Wasser als Symbol für die ganze kosmologische Materie auf der Gottes Geist schwebte und anhand derer er schöpferisch tätig war. Warum? Wenn wir die stürmische See betrachten, die wie ein Tiger in seinem Käfig knurrend auf und ab läuft, dann werden wir es erkennen. Wir steigen in eine Zeitmaschine und betrachten das Drama der Schöpfung. Ich glaube als Gott die Ozeane der Erde designte, malte er ein Bild seines Geistes, der am ersten Tag der Schöpfung seine zeitlose Leidenschaft in die wilde See der Zeit einhauchte. Dieses Bild hängte er im Säuglingssaal auf. Das ist die Erde, die seine Kinder bei ihrer Geburt erblicken sollten.“

6) Abklang

Die letzte Frage: von was ist das Meer ein Abbild?

Treffend stellt Kreeft fest, dass es sich hier wie mit der Musik verhält, die nicht in Worte gefasst werden kann, sondern gehört werden muss. Der Komponist dieser Musik ist Gott. Deshalb wird dieses Rätsel nie langweilig. Unsere Seelen sind groß und nur etwas Größeres als sie selbst langweilt sie nicht. Die Natur steht aber in der Schöpfungsordnung nicht über der menschlichen Seele. Wie kommt es dann, dass wir von der Natur so fasziniert sind?

Weil es Gottes Natur ist.

Jedes vom Menschen erschaffene Musikstück wird nach ausreichender Wiederholung langweilig aber Gottes Musik und seine Nachricht werden nie langweilig.

Was sagt uns diese Nachricht? Was ist es, dass wir tief in uns spüren und das niemals langweilig wird? Es muss etwas sehr Einfaches und sehr Großes sein, etwas Unbestreitbares und Unwiderstehliches, etwas Schönes – etwas, das wie Gott ist.

Peter Kreeft schließt mit folgender Antwort:

„Ich weiß, was es ist und es ist sehr einfach. Die Wellen sagen uns folgendes: Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich. Ich liebe dich bis an das Ende dieser Zeit.“

Lasst uns zum Abschluss auf das Gedicht „Wie das Meer“ des deutschen Schriftstellers Karl May (1842-1912) hören:

„Sei still in Gott, still wie das Meer!

Nur seine Fläche streift der Wind,

Und tobt als Sturm er noch so sehr,

Wiß, daß die Tiefen ruhig sind.

Sei weit in Gott, weit wie das Meer!

Es wogt nicht blos am heim’schen Strand.

Und wird dirs auch zu glauben schwer,

Wiß, drüben giebts doch wieder Land.

Sei tief in Gott, tief wie das Meer!

Nach dort, wo dich die Welt vergißt,

Sei dein Verlangen, dein Begehr.

Wiß, daß die Tiefe Höhe ist.

Ja, sei, mein Herz, stets wie das Meer

In Gott so still, so tief, so weit!

Dann landest du nicht hoffnungsleer

Am Küstensaum der Ewigkeit.“
 


(Karl May, Himmelsgedanken, 1900)

Impulse für weitere Kontemplation
  • Wie offenbart sich Gott in dem Teil der Natur, der dir besonders am Herzen liegt?
  • Wie benutzt Gott die Natur als Heilmittel für dich in deinem dynamischen Alltag?
  • Kann Gott dir dabei helfen, die kleinen Wunder des Alltags wahrzunehmen?
  • Was kannst du von dem Umgang der Kinder mit der Natur lernen?
  • Achtest du darauf die Dinge dem Wesen nach zu entdecken und zu erkennen oder gibst du dich schon mit der äußeren Form zufrieden?
  • Welche vollkommenen Freuden genießt du in deinem Leben? Siehe zu, dass du sie ergreifst, um unserem Feind zuvorzukommen.
  • Hast du schon einmal Jesus darum gebeten, dass er dir Deine Augen des Herzens erleuchtet, damit du die Welt aus Seinen Augen wahrnimmst? Was hält dich davon ab?
  • Steht dein Gottesbild im Einklang mit der Beschreibung Gottes als einem himmlischen Vater, der dir die Erde anvertraut hat als ein Spiegel seiner selbst und als Gabe, die dir zur Freude dienen soll?
Quellen

Vortrag von Peter Kreeft:

Bilder: rujhan_basir/LeoNeoBoy/skeeze/ATDSPHOTO/pixabay.com; Shane Stagner/Johannes Plenio/Ahmed/Hermansyah/Unsplash

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