Im ersten Teil haben wir anhand von Jonatan und David gelernt, dass wahre Freundschaft opferbereite Hingabe, großherziges Geben und bündnishafte Treue beinhaltet. Wenn du diesen Artikel noch nicht gelesen hast, empfehle ich dir zuerst diesen Teil anzuschauen, bevor es nun weitergeht und wir uns nun einer weiteren wichtigen Frage widmen.
Worin liegt die Kraft der Freundschaft und was hat ein guter Freund zum Ziel?
Das 18. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Freundschaft – diese These ist in Literaturwissenschaft und Soziologie immer wieder vertreten worden (vgl. Joachim Pfeiffer, Ute Pott u.a.). In dieser Epoche entstanden viele Werke, die die Tugend der Freundschaft thematisierten. Ein Beispiel ist der Inhalt aus Schillers Ballade „Die Bürgerschaft“ dieser Zeit (1798):
Ein Tyrannenmord schlägt fehl, der Attentäter wird auf frischer Tat ertappt und zum Tod verurteilt. Wegen einer dringenden Familienangelegenheit bekommt er einen Aufschub von drei Tagen, unter der Bedingung, dass sein Freund ihn vorübergehend vertritt und bereit ist, den Tod auf sich zu nehmen, falls der Verurteilte selbst nicht rechtzeitig zurückkehrt. Diese Rückkehr gelingt buchstäblich in letzter Sekunde, die Freunde fallen sich unter dem Kreuz gerührt in die Arme, in den Armen liegen sich beide. Und weinen vor Schmerzen und Freude. Der Tyrann ist so beeindruckt von dem Exempel freundschaftlicher Treue, dass er den Attentäter begnadigt und sich dem Freundschaftsbund anschließt.
Solche Geschichten veranschaulichen das Freundschaftsideal. Der Zweck eines Ideals ist, dass wir danach streben können. Es ist fatal zu meinen, dass nur weil wir in einer Zeit leben, in der diese alten Tugenden und Ideale nicht mehr so in Ehren gehalten werden, ihr Wert ebenfalls der Vergangenheit angehört. Ich beobachte vielmehr, dass die Menschen sich im Innersten nach dem sehnen, was sie oft belächeln oder selbst nicht ausleben. Die Wahrheit und das Gute haben kein Verfallsdatum. Deshalb wollen wir einmal mehr das Ideal wahrer und guter Freundschaft aufleben lassen.
In dem Lionchasers Artikel „Vom größten Männerfehler und Zebras“ gibt es ein schönes Beispiel für Freundschaft: Freundschaft ist wie ein Seil, das aus mehreren Einzelseilen besteht, die zusammengeflochten werden. Dadurch erhöht sich die Zugkraft gewaltig. Aber wie findet man heraus wie viel Kraft ein Seil hat? Die Antwort ist einfach: indem man es unter Spannung setzt, bis es reißt. Ebenso steht es um Freundschaften. Die Kraft der Freundschaft erweist sich in Momenten größter Spannung. Zerreißproben des Lebens zeigen, wieviel Freunde gemeinsam ertragen können.
Ein Freund liebt allezeit, und ein Bruder wird für die Not geboren. (Sprüche 17,17)
Lasst uns anschauen, wie Jonatan die Kraft der Freundschaft unter Beweis stellt, als für David die Welt unterzugehen schien.
David aber blieb in der Wüste auf den Bergfesten; er blieb im Gebirge in der Wüste Sif. Und Saul suchte ihn die ganze Zeit; aber Gott gab ihn nicht in seine Hand. Und als David sah, dass Saul ausgezogen war, um ihm nach dem Leben zu trachten, blieb er in der Wüste Sif in Horescha. Da machte sich Jonatan, Sauls Sohn, auf und ging hin zu David nach Horescha und stärkte sein Vertrauen auf Gott und sprach zu ihm: Fürchte dich nicht! Sauls, meines Vaters, Hand wird dich nicht finden, und du wirst König werden über Israel, und ich werde der Zweite nach dir sein; das weiß auch Saul, mein Vater. Und sie schlossen beide einen Bund miteinander vor dem HERRN. David blieb in Horescha, aber Jonatan zog wieder heim. (1.Samuel 23, 14-18)
1. Jonatan stärkt Davids Vertrauen auf Gott
Wir wollen mit dem wichtigsten Punkt beginnen. Dies war die wichtigste Angelegenheit für Jonatan. Sein Hauptziel war es, dass Davids Vertrauen auf Gott gestärkt wurde. Würde man Jonatan fragen, warum er dieses verrückte Risiko eingegangen war, zu David zu kommen, dann würde er sagen: „Ich musste gehen, denn mein Freund hat mich gebraucht. Sein Leben stand auf dem Spiel und ich musste sein Herz auf Gott ausrichten.“
Malen wir uns die Situation nochmals vor Augen. David ist der meist gehasste Feind von König Saul, der seine Killerkommandos ausgesandt hatte, um David aufzuspüren und zu liquidieren. Die Flucht Davids vor seinen Verfolgern dauerte jahrelang. So gejagt zu sein ist ein aufreibendes und auslaugendes Geschehen. Wenn dieser Zustand jedoch Jahre andauerte, dann können wir uns nicht annähernd vorstellen, welch eine seelische Folter David durchlebte. Vor allem, da es eine absolute Ungerechtigkeit war. David und seine Männer lebten lange in den Höhlen der felsigen Wüste im Süden Judas. Ein Mann, der von Gott auserwählt und zum König gesalbt war, musste sich wie ein Tier in Höhlen verkriechen.
Fragen, Zweifel, Furcht, Einsamkeit, Verletzungen, Hoffnungslosigkeit, Hass, Rachegedanken, Kapitulation … diese „Feinde“ waren in der dunklen Höhle ebenfalls anwesend. Niemand konnte sie sehen, aber sie waren allezeit da und warteten nur darauf die Gedanken und das Herz Davids anzugreifen, zu vergiften und ihn zu zerstören. Somit war es Davids größte Gefahr den Glauben an seinen Gott und dessen Verheißungen zu verlieren.
„Wenn Gott einen Freund gibt, dann vertraut er uns die Sorge um ein anderes Herz an.“ – John Eldredge
Jonatan schien um diese Gefahr und die innere Not Davids gewusst zu haben und so macht er sich auf, seinen Freund in der Höhle aufzusuchen. Dabei riskiert er sein eigenes Leben. Mit dieser Tat begeht er Hochverrat an seinem eigenen Vater, dem König von Israel. Meines Erachtens ist das die größte Heldentat Jonatans. Er war der Erstgeborene des Königs, ein großer Krieger und respektabler Mann. Jonatan setzt sein gesamtes Leben und seine Ehre wegen der Treue zu seinem Freund aufs Spiel, weil dieser Stärkung braucht.
Das wichtigste, das wir in einer Freundschaft tun können, ist gegenseitig unser Vertrauen auf Gott zu stärken!
Freunde sind Wegbegleiter im Leben, die sich gegenseitig den Arsch retten.
Eines der großartigsten Beispiele der Literatur und Filmindustrie finden wir in „Der Herr der Ringe“. Das Motiv der Freundschaft zieht sich durch das gesamte Epos. Louis Marcus kommentiert in seinem Buch “On the Shoulders of Hobbits – The Road to Virtue” folgendermaßen:
“Es sind diese Freundschaften, mehr als alles andere, was die Gefährten befähigt ihre Mission zu erfüllen… Dieser Geist von unentwegter Loyalität und Hingabe, dieses Zusammenbinden mehrerer Leben und Willen, gibt den Hobbits ihr Durchhaltevermögen.“
Ohne Samweis Gamdschie hätte Frodo es niemals zum Schicksalsberg geschafft. Der stille Held der gesamten Geschichte ist dieser treue Freund, der den Blick auf das Ziel nicht verliert und sich hingebungsvoll um seinen Freund sorgt und für ihn kämpft.
Wenn du nahe dran bist deinen Fokus auf das Ziel zu verlieren – dein Freund hilft. Wenn du kein Vertrauen mehr hast – dein Freund bringt dir Hoffnung. Wenn um dich herum nur finstere Wolken sind – dein Freund kommt und zeigt dir, dass hinter den Wolken immer noch die unbesiegbare Sonne scheint.
Der Glaube und das Vertrauen auf Gott ist die stärkste Macht, die wir haben können. „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ (Markus 9,23) Deine Gottesbeziehung ist dein Leben, daran hängt ALLES. Deshalb ist es eine Hauptbeschäftigung des Teufels unseren Glauben zu zerschlagen und unser Vertrauen zu rauben. Was wir tun können, ist gegenseitig füreinander zu glauben, wenn der eine den Glauben zu verlieren droht. Kämpft im Glauben für einander, so wie es auch Jesus für Petrus getan hat:
Der Herr aber sprach: Simon, Simon! Siehe, der Satan hat euer begehrt, euch zu sichten wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du einst zurückgekehrt bist, so stärke deine Brüder! (Lukas 22,31-32)
Eine Frage, die du dir stellen solltest: Wie viel Zeit und Energie widmest du deinen Freundschaften, damit das Vertrauen auf Gott gegenseitig gestärkt wird?
Eine Freundschaft mit dieser Priorität steigt auf ein ganz anderes Level. Gute Beziehungen bestärken individuelles und gemeinsames Wachstum. Glaubenswachstum als Ziel der Freundschaft ist es wert, dass man sein Leben dafür wie Jonatan riskiert. Es ist ein Kampf, in dem man zusammensteht. Wenn du ein guter Freund sein willst, dann sollte diese Aufgabe zu deinen wichtigsten gehören.
2. Jonatan klärt Davids Berufung und Identität
Es ist offensichtlich, dass die Umstände in Davids Leben ziemlich viel Verwirrung gestiftet haben mussten. Wie passten die Verheißung Gottes mit seiner erlebten Realität zusammen? Es machte alles keinen Sinn.
Der Beginn von Davids Karriere war ein Traum. Er besiegte den Riesen Goliath und heiratete die Königstochter. Er wurde ein Anführer in der Armee. Er war von allen geliebt. Er schien immer in der Sonne zu tanzen und alle Wege lagen offen vor ihm. So stellt man sich einen von Gott Gesalbten vor.
Aber jetzt war alles dahin. Die Aussichten darauf ein König zu werden, lösten sich in nichts auf. Nun war David höchstens ein kleiner Banditenkönig von einigen Männern, die nichts zu verlieren hatten.
Als Jonatan Davids Lebensbühne betritt, handelt er mit entscheidender Weisheit: Er verjagt die Furcht und spricht Wahrheit in das Leben von David. Jonatan klärt Davids Identität und dessen Berufung und weist ihn auf den richtigen Weg hin.
„Das Schönste an einer Freundschaft ist nicht die ausgestreckte Hand, das freundliche Lächeln oder der menschliche Kontakt, sondern das erhebende Gefühl, jemanden zu haben, der an einen glaubt und einem sein Vertrauen schenkt.“ ―Ralph Waldo Emerson
In dieser höchst aussichtslosen Lage kommt Jonatan und hält den Flammenwerfer in ein ausgehendes Feuer: „David, komme was da wolle, du wirst König werden!“ Wenn kein Mensch mehr an dich glaubt und selbst du den Glauben aufgegeben hast, dann ist da dein Freund, der standhaft bleibt und weiterhin an dich glaubt!
Es macht mich sehr traurig, wenn Menschen ihre Träume und Leidenschaften aufgeben. Große Visionen über das Leben, die immer kleiner werden und am Ende verschwinden. Es gibt zu viele Menschen auf diesem Planeten, die sich selbst aufgegeben haben. In dem Buch „The Dream Giver“ von Bruce Wilkinson, geht es darum, dass jedem Menschen ein Traum von dem großen Traumgeber (Gott) gegeben wurde. Der Protagonist ist ein gewisser „Niemand“ der sich auf die Abenteuerreise begibt seine Bestimmung anzutreten und dabei zu einem „Jemand“ zu werden. Der Weg ist mit unzähligen Hindernissen gepflastert und beginnt damit, dass die erste große Herausforderung darin besteht, dass Herr Niemand seine Heimatstadt „Altvertrautes/Gewohntes“ verlassen muss. Seine eigene Familie steht ihm im Wege und versucht seinen Traum zu zerschlagen, da auch sie vor langer Zeit ihren Traum aufgegeben hatten.
David ist ein „Herr Niemand“ – ein gewöhnlicher Hirtenjunge, der vom großen Traumgeber den Traum geschenkt bekommt, der auserwählte König von Israel zu werden. Wenn wir diese Parabel auf Davids Leben beziehen, dann sehen wir wie viele Feinde seine Berufung zerstören wollen. Diese ständigen Kämpfe sorgen dafür, dass David seinen Mut sinken lässt, wovon unzählige Psalmen zeugen. Wir haben jedoch folgenden Vers in unserem Abschnitt: Und Saul suchte ihn die ganze Zeit; aber Gott gab ihn nicht in seine Hand.
So wie der Traumgeber in der Parabel „The Dream Giver“ stets an der Seite von Herr Niemand ist, auch wenn dieser ihn nicht sieht und oft den Glauben zu verlieren droht, so ist Gott auch stets an der Seite Davids. Nun kommt Jonatan, um David dies klarzumachen und spricht zu ihm: „Fürchte dich nicht. Gott ist mit dir, auch in dieser Höhle und du wirst zu deinem Ziel kommen und König werden!“ Selbst Saul, der mächtigste Mann im Land, kann nicht verhindern, was Gott verheißen hat. Mit Sicherheit ist es zu einem gewissen Teil Jonatan zu verdanken, dass wir in den Psalmen Davids diese glorreichen Wendepunkte finden können, in denen David Gott trotz tiefster Not lobt und sein Gottesvertrauen ausdrückt.
Wie genial ist wahre Freundschaft!
Als ein guter Freund ist es dein Job in deinen Freunden das Wahre und Gute zu erkennen. Wie Goldgräber, die nach Gold schürfen, graben Freunde danach, Potenzial zu entdecken und dem Gegenüber zu helfen seiner Berufung nachzugehen. Von Jonatan lernen wir: In Phasen von inneren und äußeren Konflikten, ist es die Aufgabe des Freundes wie ein Eckpfeiler dazustehen und an der Identität und Berufung des Freundes festzuhalten.
3. Gemeinsam erneuern die Freunde ihren Bund vor Gott
Davids Zukunft lag nun wieder klar vor seinen Augen. Auch wenn es nicht vorhersehbar war, wie und wann alles geschehen würde, so war eins sicher: David würde König werden. Jonatans Zukunft war jedoch ziemlich ungewiss. Sollte sein Vater herausfinden, dass er sich mit David getroffen hatte, dann würde Jonatan selbst um sein Leben fürchten müssen. Saul hatte schon einmal in einem Wutanfall mit einem Speer nach ihm geworfen, als sein Sohn sich auf die Seite Davids gestellt hatte (vgl. 1.Samuel 20,32-33).
In diesem Augenblick der Trennung auf Ungewissheit schließen die beiden Freunde einen Bund. Über die Bedeutung von Bündnissen haben wir schon in Teil I dieser Reihe nachgedacht. Wir können in der Bibel jedoch beobachten, dass insgesamt dreimal davon berichtet wird, dass David und Jonatan einen Bund vor Gott schlossen, was einen weiteren Gedanken aufwirft:
Die Einheit, die entsteht, wenn sich Freunde fortwährend im gemeinschaftlichen GEBET mit Gott verbinden, enthält unglaubliche Kraft!
Wiederum sage ich [Jesus] euch: Wenn zwei von euch auf der Erde übereinkommen, irgendeine Sache zu erbitten, so wird sie ihnen werden von meinem Vater, der in den Himmeln ist. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte. (Matthäus 18,19-20)
Der Höchste selbst hat sich mit David und Jonatan verbunden und das ist letztlich das größte Geheimnis der Kraft ihrer Freundschaft. Freundschaft ist eine absolute göttliche Tugend. Jesus selbst hat Freundschaft im vollkommensten Maße ausgelebt. Was David und Jonatan durch die extrem harte Zeit getragen und ihre Freundschaft erhalten hat, war die Gnade und der Beistand Gottes.
Der Bund zwischen David und Jonatan und ihr gemeinsames Treten vor Gottes Thron beendete ihr Treffen. Davon können wir lernen, um unsere Freundschaften herum die Mauer des Gebets zu legen – ein Wall der mit jedem Male für den Feind undurchdringbarer wird.
Antwort auf eine wichtige Frage
Worin liegen nun das Ziel und die Kraft wahrer und guter Freundschaft?
Der treue Freund Jonatan hat es vorgelebt:
Freunde helfen sich gegenseitig zu ihrer Bestimmung hin zu wachsen und im Glauben stark zu werden, indem sie gemeinsam auf Gott schauen und niemals aufhören füreinander zu kämpfen!
Lasst uns Freunde werden, wie Jonatan einer war!